Interview: Die Reichsbürger – eine gefährliche Mischung

"Reichsbürger_innen", Verschwörungsideolog_innen und Aktivist_innen einer rechten Abspaltung der so genannten "Montagsmahnwachen" wollen sich am 09. Mai ab 15 Uhr mit Rechtsextremen auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof versammeln, um gegen das "BRD-Regime" zu demonstrieren. Auf Facebook haben 35.000 Personen bereits ihre Teilnahme angekündigt. Wer verbirgt sich hinter den sogenannten "Reichsbürger_innen"? Darüber haben wir mit Jan Rathje gesprochen, der zu dem Thema eine Broschüre mit der Amadeu Antonio Stiftung veröffentlicht hat.

Für den 09. Mai ist eine überregionale rechte Kundgebung im Berliner Regierungsviertel angekündigt. Neben klar einzuordnenden Rechtsextremen, die an der Kundgebung teilnehmen wollen, werden sich auch so genannte „Reichsbürger_innen“, Verschwörungsideolog_innen und Aktivist_innen einer rechten Abspaltung der so genannten „Montagsmahnwachen“ an diesem Tag versammeln. Wer steckt dahinter?

Bei Reichsideologinnen und -ideologen handelt es sich um Menschen, die glauben die Bundesrepublik Deutschland sei eine Verschwörung gegen das deutsche Volk und, dass ein Deutsches Reich weiter handlungsunfähig bestehen würde. Die erste Behauptung deckt sich wiederum mit der anderer Verschwörungsideologinnen und -ideologen von einer „Neuen Weltordnung“ (New World Order, NWO).

Hier wird davon ausgegangen, die ganze Welt würde von einer kleinen Gruppe sehr mächtiger Menschen gesteuert. In diese Geschichte fügt sich die „BRD GmbH“ dann ganz gut ein.

Warum sollte ich als jemand, der sich gegen Nazis engagiert, auch gegen Reichs- und Verschwörungsideolog_innen auf die Straße gehen? Warum sollte man ihre wirren Vorstellungen ernst nehmen?

Die Gefahr besteht darin, dass in der westlichen Welt bestimmte Erzählungen von „Strippenziehern“ existieren: Eine fiktive jüdische Weltverschwörung. Öfter werden auch bewusst oder unbewusst Codes verwendet, wie etwa die Rothschilds, die Illuminaten, das Finanzkapital, die Wallstreet, die FED, etc. Der Schritt zum Antisemitismus ist also nicht weit.

Auch die Organisatorinnen und Organisatoren der Veranstaltungen am 9. Mai hängen diesen Ideologien an. Ein Teil wendet sich rassistisch gegen eine vermeintliche „Islamisierung“, andere in einer völkisch-nationalistischen Kapitalismuskritik gegen die USA und deren „Handlanger“.

Welche personellen Überschneidungen unter Reichs- und Verschwörungsideolog_innen gibt es in die rechte Szene?

Zum einen wäre da Horst Mahler zu nennen. Nicht nur mit seinem „Deutschen Kolleg“ verbreitete er reichsideologische Propaganda gegen „Reichsfeinde“. Die Veranstaltung „Generalmobilisierung: ReGIERung absetzen“ am 9. Mai wurde nach Angaben der Bunderegierung von einem Mitglied der NPD angemeldet. Eine andere Veranstaltung am 8. Mai wird von dem Dauergast vor den Reichstag und ehemaligen NDP-Mitglied Rüdiger Klaasen veranstaltet. Darüber hinaus bietet sich anderen Teilen der rechten Szene mit dem positiven Bezug auf ein Deutsches Reich ein Anknüpfungspunkt.

Wo gibt es Schnittpunkte zwischen rechtsextremer Ideologie und den Vorstellungen von Reichs- und Verschwörungsideolog_innen.

Die Vorstellung, ein Deutsches Reich würde weiter existieren, beinhaltet Gebietsansprüche an Polen und Tschechien. Dies ist an den rechtsextremen Geschichtsrevisionsimus anschlussfähig. Über die Behauptung, die Bundesrepublik Deutschland sei eine Verschwörung gegen das deutsche Volk, ist es, wie eingangs, erwähnt nur ein kurzer Schritt zu antisemitischen Stereotypen.

Du beobachtest die Szene schon über einige Jahre. Wie entwickelt sie sich? Wird man sich in einigen Jahren nicht mehr damit beschäftigen müssen oder findet sie immer mehr Anhänger_innen?

Ein neuer Impuls scheint es zu sein, Vorstellungen von christlichem Glauben zu integrieren, um als Religionsgemeinschaft zu gelten. Ob dies mit dem Druck zusammen hängt, der inzwischen von staatlicher Seite auf diese Gruppierungen ausgeübt wird, oder ob es dem Glaubensbedürfnis dieser Menschen entspringt, müsste noch näher untersucht werden.

Allgemein teile ich die soziologische Auffassung, dass Verschwörungsideologien verstärkt in Krisen auftreten. Die Reichsideologie würde ich als eine spezielle Unterform beschreiben. Menschen, die nicht nur von der Krise negativ betroffen sind, suchen nach Erklärungen und Sinnzusammenhängen für ihr Leiden. Diese lassen sich am leichtesten in den Sozialen Medien und in Blogs im Internet finden. Leider dominieren dort rechtsesoterische und verschwörungsideologische Inhalte. Gerade die Geschichte von der Bundesrepublik als Verschwörung gegen das deutsche Volk scheint mir anschlussfähig. Sie bricht die alte Erzählung von der NWO konkret auf Deutschland herunter und bietet den Deutschen eine Möglichkeit, sich als Opfer zu inszenieren.

Für den 09. Mai ist eine Protestkundgebung geplant, welche sich gegen die Versammlung der Rechtsextremen, Reichs- und Verschwörungsideolog_innen richtet. Welche Handlungsstrategien siehst du, um gegen die von dir beschriebenen Ideologien und Bewegungen aktiv zu werden?

Es ist wichtig Widerspruch zu diesen Veranstaltungen aber auch Postings im Internet zu formieren und formulieren. Es sollte besonders Unentschlossenen gegenüber gezeigt werden, dass diese Ideologien antidemokratische und menschenfeindliche Positionen vertreten. Außerdem sollte sich kritisch mit der eigenen Gesellschaft befasst werden, um nicht nur ein spiegelverkehrtes Schwarz-Weiß-Bild zu zeichnen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind komplex, politische Bildung kann dem zumindest partiell entgegenwirken.

Alle Infos zum Protest gegen die Versammlung haben wir in einem extra Beitrag gesammelt. „Berlin gegen Nazis“ wird vor Ort sein und über die App sowie Facebook und Twitter über aktuelle Neuigkeiten und Proteste gegen die Kundgebung informieren. Die Kundgebungen gegen die Versammlung am Washingtonplatz beginnen ab 14 Uhr vor dem Bundeskanzleramt (Ludwig-Erhard-Ufer).